Nigel Bartlett im Interview 2. Dezember 2016 – Posted in: Aktuelles – Tags: , , , ,

Woher kam die Inspiration zu König der Straße? Basiert der Roman auf einer wahren Begebenheit oder einem Fall, von dem du gehört hast?

 

nigel_bartlett1Vor einer ganzen Weile habe ich die Hündin meines besten Freundes verloren. Ich hatte sie vor einem Laden angebunden und komplett vergessen. Damals war ich bei meinem Freund untergekommen und hatte die Hündin zum Einkaufen mitgenommen. Erst ein paar Stunden später, als ich zurück in seinem Haus war, ist mir klar geworden, was ich getan hatte. (Manchmal bin ich wirklich unaufmerksam!) So schnell es ging, rannte ich zurück zu dem Geschäft und musste feststellen, dass jemand die Hündin mitgenommen hatte.

Mein Freund und ich haben Stunden damit verbracht, durch die Straßen zu streifen und nach ihr zu rufen. Es war einfach ein scheußliches Gefühl zu wissen, dass die wichtigste Weggefährtin meines Freundes wegen meiner Blödheit verschwunden war. Mein Freund war am Boden zerstört, und ich habe mich nur noch furchtbar gefühlt.

Einige Zeit später habe ich mir aufgrund dieser Geschichte die Frage gestellt: „Wie würde es sich anfühlen, wenn ich jemandes Kind verliere? Zum Beispiel meinen Neffen? Wie würde sich das auf die Beziehung zu meinem Bruder, meiner Schwägerin und zum Rest der Familie auswirken? Sie würden mich doch für immer hassen. Und wie könnte man das überhaupt wieder gutmachen? Wie weit würde ich dafür gehen?“ Aus diesem Gedanken hat sich dann Stück für Stück König der Straße entwickelt.

Ach ja, die Hündin hat übrigens von selbst zurück nach Hause gefunden. Wie sich herausstellte, hatte ein kleiner Junge sie losgebunden, um mit ihr im Park zu spielen, aber sie ist ihm davongelaufen und mehrere Stunden später heimgekommen. Was für eine Erleichterung!

König der Straße behandelt ein durchaus heikles Thema, insbesondere für einen Debütroman. Hat dir das beim Schreiben Sorgen bereitet?

 

Seltsamerweise habe ich mir über diesen Aspekt wenig Sorgen gemacht. Über alles andere dafür umso mehr. „Ist das realistisch, hat der Text genug Tempo, ist der Schreibstil überhaupt gut genug?“ Diese Fragen haben mich wahnsinnig gemacht, was vielleicht genau der Grund war, weshalb ich mir über die inhaltlichen Aspekte nicht den Kopf zerbrochen habe.

Zur Frage „Ist das realistisch?“ muss ich sagen: Nachdem ich angefangen hatte, eine Geschichte um eine Kindesentführung zu entwickeln, fiel mir plötzlich auf, dass es in den Lokalzeitungen von Sydney jede Woche Berichte über Kinder gab, die beinahe entführt worden waren, aber entkommen konnten. Scheinbar passiert das andauernd – Kinder entwischen irgendwelchen Leuten, die sie zu schnappen und in ihr Auto zu zerren versuchen –, aber wirkliche mediale Aufmerksamkeit entsteht erst, wenn ein Kind tatsächlich gekidnappt wurde.

Ich begann auch, mehr und mehr Berichte zu lesen, die andere Aspekte solcher Verbrechen beleuchteten, und ich habe umfangreiche Recherchen betrieben, wie die Polizei in diesen Fällen ermittelt. Schließlich dachte ich „Okay, mein Szenario ist eigentlich sogar ziemlich realistisch“.

Während ich mir im Schreibprozess keine Gedanken über die Wirkung des Inhalts gemacht habe, frage ich mich – jetzt wo das Buch draußen ist – manchmal: „Wie konnte ich nur über so ein Thema schreiben?“ Ein enger Freund meinte mal dazu: „Wie hast du das angestellt? Das ist ziemlich gruselig, und du gruselst dich nicht gern.“ Und er hat absolut recht!

 

David ist eine komplexe und wahnsinnig clevere Figur. Wie hat er sich während des Schreibprozesses entwickelt? Er versucht alles, um etwas Gutes zu tun. Betrachtest du ihn selbst als eine Art „Idealmenschen“?

 

Ich bin sehr froh, dass du ihn magst! Tatsächlich wäre ich in mehrerlei Hinsicht gerne so wie David – gut in Form, ein liebevoller Onkel, ein guter Freund. Im ersten Entwurf wirkte er allerdings zu weich und war ziemlich nervig. In späteren Überarbeitungsschritten habe ich ihn tougher gemacht. Diese Veränderung entsteht aber aus dem, was er erlebt. Zu Beginn fühlt er sich hilflos, und er muss erst mal lernen, mit dieser erschreckenden Situation umzugehen. Er ist nicht von Anfang an tough, aber nach und nach entdeckt er seine eigene Stärke.

Auf jeden Fall ist er jemand, der immer das Richtige tun will, aber er muss auch Sachen machen, die in jeder anderen Situation für ihn undenkbar wären. Und manchmal ist er dabei ziemlich brutal.

Sehe ich ihn als „Idealmenschen“? Na ja, ich glaube, er wäre ein wunderbarer Freund bzw. Partner, aber er hat auch seine Fehler. Er zweifelt an sich selbst und hat manchmal zu wenig Selbstvertrauen, und er stellt fest, dass er es genießt, anderen physische Schmerzen zuzufügen, wenn er wütend ist. Aber gerade den letzten Aspekt finde ich interessant – ich hatte schon oft den Gedanken, dass wir alle zu schrecklichen Taten fähig sind, wenn wir an unsere Grenzen gebracht werden.

 

Mehr Informationen zum Buch:

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